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In unserer Artikel-Serie rund um unseren New Work Baukasten widmen wir uns heute dem Baustein Organisation. Konkret möchten wir Euch eine ganz besondere Organisationsform vorstellen: die Holokratie.

Unsere Artikel gibt es jetzt auch als Audioversion, gelesen von unserem Marketing Manager Thomas Piskor.

New Work Baukasten Übersichtsgrafik - Dr. Kraus & Partner

Was ist Holokratie und was können wir davon lernen?

Holokratie als Organisationsprinzip

Holokratie ist viel mehr als eine Methode. Es ist ein ganzheitliches Organisationskonzept, das bei Einführung in seiner Reinform die gesamte Organisation umkrempelt. Im Zentrum von Holokratie steht der Gedanke, Hierarchien aufzulösen und neue, sich selbst organisierende Strukturen und Abläufe einzuführen.

Durch das Zusammenbringen verschiedener Bausteine wie die Abschaffung klassischer Hierarchien, die Einführung von separaten Meetings zur Weiterentwicklung der eigenen Organisation und die stärkere Beteiligung der Mitarbeitenden im Entscheidungsprozess fördert Holokratie, Transparenz, Anpassungsfähigkeit, Mitarbeiterbeteiligung, effektive Entscheidungsfindung und allem voran: Selbstorganisation.

Die Bezeichnung „Holokratie“ ist aus dem griechischen Begriff „Holon“ abgeleitet, der übersetzt so viel bedeutet wie „das Teil eines Ganzen seiende“. Der US-Unternehmer Brian Robertson, der als Begründer des Organisationsprinzips der Holokratie gilt, nutzt hier gerne die Metapher des menschlichen Körpers. Das kleinste Element unseres Körpers ist die Zelle. Die Zelle ist eine eigenständige Einheit, die zusammen mit anderen Zellen Organe bildet, die unseren Körper ausmachen. Die Zelle ist also Teil eines Ganzen. Dieses Prinzip findet sich auch in der Holokratie wieder.

Selbstorganisation braucht Regeln 

Selbstorganisation – das klingt nach Organisationsanarchie? Keinesfalls! Auch wenn in der Holokratie viel Basisdemokratie stattfindet und es die klassische interpersonale Führung in Hierarchien nicht mehr gibt, so folgt das System dennoch klaren Regeln und Strukturen. Dafür gibt es die sogenannte Holacracy-Verfassung, ein ausführliches Regelwerk, in dem alle wesentlichen Regeln, Strukturen und Prozesse des „Betriebssystems“ Holokratie dokumentiert sind. Die Verfassung dient der Sicherheit und Orientierung für die Führung und Verwaltung der Organisation.

Rollen und Kreise in der Holokratie

Holokratie ist ein rollenbasiertes Modell, was bedeutet, dass Positionen und Stellenbeschreibungen durch Rollen abgelöst werden. Jede Rolle hat einen Purpose, einen klar definierten Wirkungsbereich und eindeutige Verantwortlichkeiten. Innerhalb des Wirkungsbereichs hat die Rolle die Befugnis, alle Aktionen auszuführen, die ihres Erachtens zur Erfüllung des Purpose erforderlich sind. Durch die Fokussierung auf Rollen statt auf Positionen oder Funktionen ist es möglich, dass eine Person zu einem bestimmten Zeitpunkt mehrere Rollen hat oder auch, dass eine Rolle von mehreren Personen gleichzeitig ausgefüllt wird. Die Besetzung orientiert sich dabei stets an den Stärken und Kompetenzen der Mitarbeitenden.

Rollen und Rollenbesetzungen werden innerhalb sogenannter Kreise gewählt und regelmäßig neu definiert, um sich flexibel den sich verändernden Anforderungen des Unternehmens anzupassen. Durch die Trennung von Rolle und Person können Rollen weiterentwickelt oder auch abgeschafft werden, ohne dass Sorgen um den Arbeitsplatz oder den Verlust von Status aufkommen müssen.

Kreise sind die führende Organisationsstruktur in der Holokratie. Die verschiedenen Rollen im Unternehmen werden in einem System sich selbst organisierender Kreise zusammengefasst. Alle Kreise verfolgen einen bestimmten Purpose und zahlen damit auf das Unternehmensziel ein. Die Vernetzung der Kreise stellt Kommunikation und Kooperation sicher. Kreise können sich dynamisch (weiter-)entwickeln, es können neue entstehen, sie können sich auflösen, wenn sie nicht mehr gebraucht werden oder aber größer und kleiner werden.

Trennung von Steuerungs- und operativen Treffen 

Ein weiterer Aspekt der Holokratie ist die Trennung von Steuerungs- und operativem Prozess, d. h. es wird klar unterschieden zwischen der Arbeit AM System und der Arbeit IM System. Dementsprechend gibt es auch unterschiedliche Meetingformate. Zu operativen Meetings kommen sogenannte Governance Meetings hinzu, die der gezielten Weiterentwicklung der Organisation dienen, dann geht es um Fragen wie:

  • „Braucht es neue Kreise?“
  • „Haben wir noch die richtigen Rollen?“
  • „Müssen wir Prozesse anpassen?“, usw.

Die Aufteilung der Arbeit in operative und Steuerungstreffen steigert nicht nur die Effektivität der Meetings, sondern gibt der Organisation die Möglichkeit und den notwendigen Raum, an ihrem eigenen System zu arbeiten. So wird die Organisation in die Lage versetzt, sich selbst kontinuierlich zu hinterfragen und zu erneuern, sich an neue Gegebenheiten anzupassen und sich dynamisch weiterzuentwickeln. Es findet also eine kontinuierliche dezentrale Organisationsentwicklung statt. Agility at it’s best!

Es gibt zwei wichtige Konzepte, die bei der Durchführung eines erfolgreichen Governance-Meetings entscheidend sind:

  1. Spannungsbasiertes Arbeiten

    In der Holokratie wird mit Spannungen gearbeitet, die meistens innerhalb eines Meetings systematisch abgearbeitet werden. Die Idee der Spannung ist es, dass jeder Mensch innerhalb einer Organisation eine Art Sensor ist, der ständig Spannungen wahrnimmt und Veränderungsimpulse aufnimmt. Dabei sind Spannungen nichts Negatives, sondern neutrale Gefühle, die sich in konkrete Probleme, Ideen oder Fragen übersetzen lassen. Beim spannungsbasierten Arbeiten sind Spannungen, wie der Name schon erkennen lässt, der entscheidende Impuls zur Veränderung, also der Treibstoff der Organisation.

    Für den Erfolg der holokratischen Organisation ist es entscheidend, dass diese Spannungen sichtbar und bearbeitbar gemacht werden, um sie in positive Veränderungen übersetzen zu können. Jede/r kann Spannungen einbringen, ist aber auch dafür verantwortlich zu definieren, was er/sie zur Lösung der Spannung braucht.

  2. Integrativer Entscheidungsprozess

    Die Lösungsvorschläge für verschiedene Spannungen werden in Meetings entlang des integrativen Entscheidungsprozesses bearbeitet:

    1) Präsentation des Vorschlags
    2) Klärende Fragen
    3) Reaktionsrunde
    4) Nachbessern und Erläutern
    5) Einwandrunde
    6) Integration

    Dabei geht es nicht um Konsens, sondern um Konsent. Das bedeutet, dass nicht die Mehrheit entscheidet, sondern das beste verfügbare Argument. Argumente werden solange verarbeitet, bis es keine schwerwiegenden Einwände mehr gibt und eine Lösung entwickelt wurde, die „safe enough to try“ ist. Das ermöglicht sachliche Diskussionen und einen konstruktiven, effektiven Entscheidungsprozess. Von wegen Basisdemokratie!

Einfach starten! 

Holokratie verbindet viele kreative und interessante Ideen und Konzepte zur Neuausrichtung einer Organisation. Dabei kann das umfassende Regelwerk schnell überfordern. Wer hätte gedacht, dass New Work so bürokratisch sein kann?! In unserer Erfahrung ist es allerdings nicht zwingend erforderlich, die Verfassung 1:1 umzusetzen. Lasst euch nicht davon abschrecken, sondern nutzt die Chance und lasst euch von den verschiedenen Elementen inspirieren. Traut euch damit zu experimentieren!

Es ist durchaus denkbar, sich einzelne Bausteine aus dem Organisationskonzept der Holokratie herauszugreifen und damit zu starten. Getreu dem Motto „start small, but start“ muss der Anspruch nicht sein, die gesamte Organisation auf einmal zu verändern. Ihr könnt auch auf Team- oder Abteilungsebene starten. Nehmt zum Beispiel den integrativen Entscheidungsprozess. Er kann bereits auf Teamebene dazu beitragen, dass Mitarbeitende stärker an Entscheidungen beteiligt werden und die Entscheidungsfindung selbst viel effektiver wird.

Tipp: Wer sich auf die Reise macht, sollte auf jeden Fall die Anschlussfähigkeit des eigenen Bereiches oder Teams an den Rest der Organisation sicherstellen. Warum nicht eine Rolle genau hierfür einrichten – den „Außenminister“ zum Beispiel?

Und wie passt das zu Agilität? 

Agilität und Holokratie – wie passt das eigentlich zusammen?

In unserer zunehmend volatilen, unsicheren, komplexen und mehrdeutigen Welt sind Anpassungs- und Wandlungsfähigkeit entscheidende Erfolgsfaktoren. Die Arbeit mit Holokratie ermöglicht es einem System bzw. einer Organisation, sich kontinuierlich selbst weiterzuentwickeln und sich flexibel an neue Gegebenheiten anzupassen – ganz agil. Ob auf Organisations-, Abteilungs- oder Teamebene, Holokratie ist ein evolutionäres Konzept, mithilfe dessen laufend dezentrale Organisationsentwicklung stattfinden kann.

Holokratie vereint viele Konzepte und Methoden, die ihr auch im Kontext Agilität und New Work wiederfinden werdet. Holokratie ist also nicht nur eine neue Organisationsform, sondern bringt auch ein verändertes Mindset, neue Formen der Zusammenarbeit und noch vieles mehr mit sich…

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Autor

  • Judith Sölter

    "Judith ist eine Beraterin der neuen Generation. Agilität liegt ihr im Blut. New Work ist für sie schon lange normal. Ihr Interesse gilt zukunftsweisenden Organisationskonzepten und Wegen, diese gut einzuführen."